D. Die Suche nach "einem kirchlichen Locale"
Aus einem gemeinsamen Bericht des Koblenzer Pfarrers Schütte und des Divisionpredigers Engels vom Juli 1855 an das Konsistorium, in dem der oben geschilderte Sachverhalt auf den bisherigen Verzicht einer rechtsrheinischen Trauung "in einem kirchlichen Locale" dargelegt ist, geht hervor, daß die Beschaffung eines für sakrale Zwecke nutzbaren Raumes auch die Militärseelsorge bewegte, was angesichts des hohen Anteils der Militärangehörigen an der evangelischen Gemeinde und deren Verehelichungen nicht verwundert. Sie berichten über bisher erlittene Fehlschläge bei der Suche. Gedacht war zunächst an eine seit längerem aufgelassene Kapelle bei der Ehrenbreitsteiner Kapuzinerkirche. Dieser Wunsch war aber vom Ehrenbreitsteiner Gemeinderat abgelehnt und in die Zuständigkeit des Ehrenbreitsteiner Kirchenvorstandes verwiesen worden. Ebenso vergeblich war die Suche nach einem Bauplatz gewesen, und ein zum Kaufangebotenes Haus, über das sieh in den Akten sonst nichts hat finden lassen, erwies sieh als ungeeignet und zu teuer. Unter allmählich reduzierten Ansprüchen fand man nach gemeinsamer Suche schließlich "die vom Eingang rechts gelegene Seite des Parterre-Geschosses der sogenannten alten Münze in Ehrenbreitstein, welches Local nach beiden Seiten drei Fenster hat, dem Militärfiscus gehört und gegenwärtig zur Aufbewahrung von Utensilien für die Fortification benutzt wird". Nach ihren Erkundigungen könnten Kommandantur und Fortifikation den Raum entbehren, den sie zu einem Teil schon der Brückenverwaltung überlassen hätten.
Der Bitte beider Pfarrer an das Konsistorium, sich für den Raum bei den hohen Ministerien zu verwenden, wurde entsprochen. Knapp anderthalb Jahre später stellte das Berliner Kriegsministerium das Erdgeschoß der alten Münze zu Ehrenbreitstein als evangelische Militär-Hilfskapelle zur Verfügung und wies die Intendantur des VIII. Armeekorps zur Herriehtung des Raumes an. Die zivile Kirchengemeinde war freilich nur Gast und bekam die Mitbenutzung der Hilfskapelle lediglich für die Stunden genehmigt, in denen sie von der Militärgemeinde nicht genutzt wurde. Nach dieser Genehmigung vom 2. Juni 1858 ist in den folgenden elf Jahren von dieser Sache nichts mehr zu hören. Sie schien funktioniert zu haben, und es scheint, daß die Gemeinde sieh zu dieser Zeit allgemein im Aufwind befand. Wenige Monate nach der Genehmigung des Ministeriums stellte der Schulinspektor, Superintendent Hegemann aus St. Goar, am 10. August 1858 den Antrag auf "Errichtung einer evangelischen Privatschule in Ehrenbreitstein", dem die Koblenzer Regierung noch im Oktober stattgab. Allerdings verlangte sie die volle Kostenübernahme durch die evangelische Gemeinde, da die Zivilgemeinde damit nicht belastet werden könne. Doch zurück zur evangelischen Militär-Hilfskapelle.
Ohne bislang erkennbaren Zusammenhang setzt der Schriftverkehr zur Hilfskapelle im Jahre 1869 erneut ein. Das Gouvernement von Koblenz-Ehrenbreitstein genehmigte unterm 7. April 1869 die Mitbenutzung der evangelischen Hilfskapelle in Ehrenbreitstein vorbehaltlich der Genehmigung des Kriegsministeriums und stellte der Gemeinde einen Unterhaltszuschuß von 10 Reichstalern jährlich in Rechnung. Pfarrer Nieden von Koblenz hatte am 24. März des gleichen Jahres darum ersucht, und es bleibt völlig offen, warum Anträge gestellt und Genehmigungen für etwas erteilt werden mußten, was vom Kriegsministerium seit 1856 längst genehmigt war. Vermutlich brauchte man die Neugenehmigung, nachdem die Hilfskapelle von der Alten Münze im ehemaligen Krummstall hinter dem Dikasterialgebäude ins Hauptgebäude selbst verlegt worden war. In jüngeren Schriftwechseln von 1884 und 1892 ist dann auch von einem Raum im Dikasterialgebäude die Rede, das 1892 als Fruchtmagazin - "in 4-fachen Etagen über der Kapelle" -genutzt wurde. Der Raum der Hilfskapelle konnte hier nicht beheizt werden. Die Gemeinde hatte zwar den Antrag gestellt, einen Ofen auf eigene Kosten installieren und betreiben zu dürfen, dessen Abzugsrohr durchs Fenster abgeleitet werden sollte, und beide Male - aus verständlichen Sicherheitsgründen - eine Absage erhalten. Aus dem Winter 1892/ 93 liegt der Antrag der Koblenzer Pfarrer Seeger und Link an ihr Presbyterium vor, den Gottesdienst bei gegenwärtig starker Kälte in der Kapelle in Ehrenbreitstein "am kommenden Sonntag" (1. Januar 1893) und bis auf weiteres ausfallen zu lassen. Der Gottesdienst zur Miete war letztlich teuer erkauft, auch wenn der Mietzins billig und die Gastfreundschaft des Militärs sowie sein Zuspruch zu den Gemeindegottesdiensten groß waren. Zu dieser Zeit aber suchten die für das rechte Rheinufer Verantwortlichen der Koblenzer evangelischen Gemeinde längst nach einem Kirchenbauplatz in Ehrenbreitstein.
Im Jahre 1890 hatte Preußen den Festungscharakter für Koblenz und Ehrenbreitstein aufgehoben und mit der daraus folgenden Auflassung zahlreicher militärischer Liegenschaften und Baukörper den Immobilienverkehr beflügelt. Auch die Koblenzer Pfarrgemeinde fühlte sieh ermutigt, beim Kriegsministerium in Berlin sowohl in eigener Sache als auch für Ehrenbreitstein vorstellig zu werden. Sie benannte in Ehrenbreitstein drei Bauplätze zur Auswahl mit der Bitte, einen davon als Kirchbauplatz zum Kauf zugewiesen zu erhalten. Der erste Platz lag am Rhein und war durch die Eisenbahnunterführung zugänglich, der zweite war der Klausenturm mit Zubehör und der dritte die Ecke hinter der Reitbahn am Pfaffendorfer Tor. Vom Ministerium zwecks Landkauf an die Kommandantur verwiesen, mußten Pfarrer Link und sein Koblenzer Presbyterium erleben, daß die Interessen der Eisenbahnverwaltung und der Zivilgemeinde in der Bewertung der Vorkaufsrechte weit vor den ihren rangierten und sie sieh in der Warteschlange sehr weit hinten anzustellen hatten.
Vorschläge, die die Zivilgemeinde Ehrenbreitstein 1892 zu damals peripheren Bauplätzen neben dem Pulvermagazin am Asterstein, auf der Hohen Bleiche vor dem Sauerwassertor und in Pfaffendorf zwischen der Rampe und der Provinzialstraße (Emser Straße) unterbreitet hatte, fanden bei der Kirchengemeinde wenig Gegenliebe. Und dennoch lassen die Akten erkennen, daß in dem Gelände an der Rampe, der Ehrenbreitsteiner Auffahrt zur Pfaffendorfer Brücke, Pfarrer Link und das Koblenzer Presbyterium seit 1892 sondierten. Nachdem sie sämtliche aufnehmbaren Fäden zum Minister für öffentliche Arbeiten und zum Präsidenten der Eisenbahndirektion in Köln geknüpft hatten, verhandelten sie seit 1893 mit der reehtsrheinisehen Kölner Eisenbahndirektion recht erfolgreich um das Grundstück zwischen Rampe und Emser Straße, das später das Mittel- und linke Seitenschiff der Pfaffendorfer Kirche tragen sollte. Zu einem Preis von 2,70 Mark pro Quadratmeter wurde das Grundstück im Umfang von 8,56 Ar (856 m²) erworben und unterm 27. April 1894 ins Grundbuch eingetragen. Ob in dem Gelände der Eisenbahngärten, wie es damals wegen seiner Obstbäume genannt wurde, zu dieser Zeit ein Kirchenbau ernsthaft geplant war, läßt sieh aus dem Gewirr der überreichlich fließenden Überlieferung kaum schlüssig ermitteln, darf aber bezweifelt werden. Der Platz war wohl eher als Tausehobjekt gedacht, denn es stand frühzeitig fest, daß er allein für einen Kirchbau zu klein war, wenn es nicht gelang, von dem oberhalb gelegenen Terrain der Rampe noch einen Streifen hinzuzukaufen. Er schließt heute das Kirchengrundstück zur Brückenstraße hin ab und trägt die rechte Empore der Kirche mit Turm.
Nach 1894 aber ruhten während der langen Krankheit Pfarrer Links bis zu seinem Tode 1896 alle Aktivitäten. Danach sprach alles für einen Bauplatz südlich der Pfaffendorfer Brücke am Seifenbach in einem Gelände rechts der heutigen Brückenabfahrt. Er war ca. 20 Ar (2000 m²) groß, diente dem Trainbataillon als Reitplatz und hätte nur im Tausch gegen adäquaten Ersatz erworben werden können, wofür ein Vergleichswert von 20.000 Mark angesetzt war. Trotz Fürsprache des Kaisers, der Kaiserin und des Erbgroßherzogs von Baden und trotz ministerieller Genehmigung lehnte das VIII. Armeekorps im Sommer 1899 den Verkauf unter Berufung auf das Reichs-Rayon-Gesetz ab. Damit war die Hoffnung gescheitert, Kirche und Pfarrhaus eng beieinander in zentraler Position errichten zu können.
Seit Februar 1900 werden die Absichten und Konturen allmählich klarer. Die inzwischen selbständig gewordene Pfaffendorfer Gemeinde unter Pfarrer Lohmann trat zu dieser Zeit mit dem Eisenbahnfiskus erneut in Verhandlungen, und zwar ganz gezielt um den eben erwähnten Geländestreifen zur Rampe hin. Er wurde ihr für 6 Mark pro Quadratmeter zugesagt und wenige Monate später mit Einverständnis des Ministeriums im Umfang von 3,13 Ar (313 m²) verkauft. So konnte der 11,69 Ar große Bauplatz innerhalb von 8 Jahren aus öffentlicher Hand durch mühsamste Verhandlungen nur stückweise erworben werden. In den Erwerb des Bauplatzes für das Pfarrhaus gegenüber der Kirche ist Pfarrer Lohmann im Juni 1900 über die Rheinische Baugesellschaft als Mitkäufer eingestiegen. Das Grundstück wurde vier Monate später im Grundbuch auf die Pfaffendorfer Gemeinde umgeschrieben. Sein Preis lag allerdings um ein Vielfaches höher. Die Bauzeichnungen und Skizzen für Pfarrhaus und Kirche waren zu der Zeit längst fertig. Das Pfarrhaus konnte Ende April 1902 bezogen werden, die Kirche wurde im gleichen Jahr, am 14. Dezember 1902, dem 3. Advent, eingeweiht. Zu der Zeit noch zu feucht, konnte sie die Orgel erst im nachfolgenden Frühjahr aufnehmen. Nach knapp 50 Jahren endlich zog die Gemeinde aus ihrem gemieteten "kirchlichen Locale" in die eigene, von Grund auf neu gebaute Kirche um.
Quelle: 1899 -1999. Festschrift der Evangelischen Kirchengemeinde Koblenz-Pfaffendorf aus Anlass des 100. Jahrestages ihrer Gründung zum 1. Oktober 1899