F. Der Bau von Kirche und Pfarrhaus

Der beinahe fünfzigjährige Such- und Findprozeß nach einer eigenen Kirche blieb auch für die neu gegründete Gemeinde das vorerst dringendste Problem, das einer raschen und allen Seiten genügenden Lösung zuzuführen war. An Vermögen besaß die junge Kirchengemeinde Pfaffendorf neben ihrer Barausstattung das Grundstück zwischen Brückenrampe und Emser Straße, das seit 1894 vom Eisenbahnfiskus erworben war und jetzt im Grundbuch von der Koblenzer auf die Pfaffendorfer Gemeinde umgeschrieben wurde. Parallel dazu erwarb die Gemeinde noch im Verlauf des Sommers 1900 den Streifen oberhalb des Grundstücks zur Rampe hin als auch das auf der gegenüberliegenden Straßenseite zum Rheinhafen hin gelegene Gartengrundstück für den Pfarrhausbau. Aus den inzwischen zahlreich vorliegenden Bauentwürfen zu Kirche und Pfarrhaus erhielten die des Architekten Erhard Müller aus Koblenz den Zuschlag.

Müllers Entwurf zum Pfarrhaus, das 2geschossig als geschlossene Anlage um ein Innentreppenhaus herum gruppiert war, bot mit seinen Frontmaßen von 15,30 m und einer Tiefe von 11,50 m genügend Platz für insgesamt 12 Räume neben dem großen Gemeindesaal im Erdgeschoß. Von der Bauaufsicht der Bezirksregierung im wesentlichen akzeptiert, wurden doch, mit Rücksicht auf den revidierten Entwurf der gegenüberliegenden Kirche, zwei wesentliche Einschränkungen gefordert. Ein kleiner Dachturm mußte verschwinden und sichtbares Ziegelmauerwerk war zu vermeiden. Am 15. März 1901 wurde mit dem Bau begonnen, und im April 1902 war der Pfarrer mit Frau und Kind bereits eingezogen. Bis dahin hatte er mit seiner Familie in der Hochstraße in Pfaffendorf zur Miete gewohnt. Die Kosten in Höhe von 40.000 Mark, von denen allein das Grundstück im Umfang von ca. 7,90 Ar rund 19.000 Mark gekostet hatte, waren erheblich unter den Ansätzen geblieben, die für den Bau - nicht für das Grundstück - als günstig gegolten hatten.

Bei der Gestaltung des Kirchbaues hatte die Bezirksregierung als staatliche Bauaufsichtsbehörde aus landschafts- und denkmalpflegerischen Rücksichten massiv eingegriffen. Den Baukörper in seiner verspielten Überdeckung der vom Gelände geforderten Einschränkungen hatte sie voll akzeptiert, den ursprünglich reinen Ziegelbau aber durch einen hellen Putzbau mit rotbraunen Hausteinen für die Ecken und Öffnungen ersetzen lassen. Von dieser Gestaltung versprach sie sich für die Kirche eine harmonischere Anpassung und Farbenwirkung an die "sie umgebende herrliche Rheinlandschaft". Nach Überprüfung der Kostenfrage und der Verwendung des Putzes statt des Ziegelsteins erreichte Pfarrer Lohmann schließlich am 18. Februar 1901 einen Termin bei Oberpräsident Nasse persönlich und erwirkte dessen Fürsprache zu einer Beihilfe aus dem provinzialkirchlichen Unterstützungsfonds über 10.000 Mark, die es ermöglichte, den Putz durch dauerhafte Tuffsteinplatten zu ersetzen, die noch heute das Außengewände der Kirche bilden. Gleichzeitig mit dem Pfarrhaus begann der Kirchbau am 15. März 1901. Das Gebäude war für 450 Sitzplätze konzipiert und im hinteren, südlichen Teil so angelegt, daß eine Verlängerung des Mittelschiffes um ein Joch nach Süden architektonisch möglich gewesen wäre. Nach 15 Monaten, fast auf den Tag genau, konnte die Kirche am 14. Dezember 1902, dem 3. Advent, durch Generalsuperintendent Umbeck eingeweiht werden. Die erste in ihr an diesem Tag vollzogene pfarramtliche Handlung war die Taufe des zweiten Pfarrerssohnes. Ein ausgiebiges Festessen mit zahlreich anwesender Prominenz - auch Oberpräsident Nasse hatte aus Italien gegrüßt, wo er zur Kur weilte - machte dieses Ereignis zu einem weiteren Höhepunkt des Gemeindelebens, dessen Vorbereitungen auf keine Ablehnung mehr gestoßen waren.

Parallel zu Planung und Ablauf der Baumaßnahmen hatte Pfarrer Lohmann rechtzeitig bei der Glockengießerei Franz Schilling in Apolda in Thüringen die Glocken für die neue Kirche in Auftrag gegeben. Ihr Kostenanschlag für drei Bronzeglocken auf die Töne "f", "as" und "e" einschließlich Glockenstuhl aus Schmiedeeisen belief sich auf 5.166 Mark. Mit dem ihm eigenen Verhandlungsgeschick erreichte Lohmann 2% Skonto bei Sofortzahlung, so daß der Auftrag, nachdem die Glocken im September 1902 im Turm hingen, mit etwa 5.000 Mark beglichen war. Benannt und durch Einguß der Aufschrift kenntlich gemacht waren die Glocken nach den Anfängen der bekannten Kirchenlieder "Allein Gott in der Höh sei Ehr", "Herr Jesu Christ, dich zu uns wend" und "O heilger Geist kehr bei uns ein. Im Kriegsjahr 1916 wurden die beiden großen Glocken zu Kriegszwecken vom Turm geholt und eingeschmolzen.

Die Orgel endlich wurde bei der Firma E. F. Walcker in Ludwigsburg bereits im Sommer 1901 in Auftrag gegeben. Sie sollte 14 Stimmen umfassen und über zwei Manuale und ein Pedal verfügen. Der Orgelprospekt wurde nach einem Entwurf des Architekten Müller gefertigt, der ihn dem Kirchenraum angepaßt hatte. Mit ihm stimmte die Firma auch die Maße zur Aufstellung des Instruments auf der Orgelempore über Altar und Kanzel ab. Versuche, den Spieltisch noch nachträglich an der Seite des Prospektes zu plazieren, scheiterten an räumlichen und preislichen Grenzen. Der auf November 1902 konzipierte Termin zur Aufstellung der Orgel wurde schon Ende August 1902 seitens der Gemeinde zurückgestellt, da der Kirchenraum zum Zeitpunkt der Einweihung Mitte Dezember aller Voraussicht nach noch zu feucht sein würde. Der auf Palmsonntag 1903 verlegte Termin der Aufstellung wurde dann von beiden Seiten eingehalten. Am Montag, dem 30. März, begannen die Einbauarbeiten und am 11. April, dem Ostersamstag, bestätigte die Firma Walcker den Eingang des vollen Rechnungsbetrages in Höhe 5.053,50 Mark. Zwischen diesen Terminen wurde am 5. April 1903 Palmsonntag gefeiert, und wir dürfen annehmen, daß die Konfirmationsfeier des Jahres 1903 der würdige und feierliche Anlaß war, zu dem die neue Orgel am vorbestimmten Platze ihr Klangvolumen erstmals zur Entfaltung gebracht hat. Mit der Umstellung der kostenintensiven und wenig wirksamen Gasheizung auf eine Niederdruck-Dampfheizung im Herbst 1908 waren die großen Baumaßnahmen an der Kirche abgeschlossen. Vor der südlichen Außenwand angelegt - der an ihr hochgeführte Schornstein gibt die Lage noch heute an - beheizte die Anlage den Kirchenraum über Heizschächte im Fußboden, die mit durchbrochenen Bodenplatten abgedeckt waren. Wenngleich Schornstein und Bodenschächte bauaufsichtlich beanstandet wurden, hatte sieh die Anlage im Winter 1908/09 so vorzüglich bewährt, daß man seitens der Gemeinde keinen Anlaß sah, sie zu ändern. Mit dieser Erklärung Pfarrer Lohmanns vom 2. März 1909 schließen die Akten das Kapitel Kirchenheizung ab. Aus den Jahresberichten zu 1909 aber geht abschließend hervor, daß ein Mitglied der Gemeinde, das anonym zu bleiben wünschte, für die Heizung 1000 Mark gespendet hatte.

Die Grunderwerb- und Baukosten für die Kirche einschließlich ihrer Innenausstattung - für den Rohbau waren 72.000 Mark veranschlagt - werden in der bauaufsichtlichen Abnahme durch das provinzialkirchliche Bauamt im Jahre 1910 mit 122.000 Mark angegeben. Die Einzelkosten für Glocken und Orgel sowie für das von Pfarrer Lohmann angegebene Gestühl ergeben zusammen etwa 13.600 Mark. Mit den 40.000 Mark, die das Pfarrhaus gekostet hatte, kommen die Gesamtkosten auf 175.600 Mark, die der von Pfarrer Lohmann genannten Gesamtsumme von 177.000 Mark weitgehend entsprechen. Zur Aufbringung dieser Summe bedurfte es nur zweier Darlehen über insgesamt 25.000 Mark. Der Rest wurde aus der Grundausstattung und aus zahlreichen Spenden und Zuschüssen gedeckt, um die Pfarrer Lohmann sich, wie im Falle des Oberpräsidenten gesehen, häufig selbst bemühte. Da er in seiner Festschrift der Spender ausgiebig gedenkt, seien hier nur einzelne Beobachtungen nachgetragen.

Schon am 23. Juni 1898 hatte das Ehepaar Dr. Julius Schmidt aus Horchheim anläßlich seiner Goldenen Hochzeit zum Bau der evangelischen Kirche eine Spende von 6000 Mark, fällig nach Grundsteinlegung, zugesagt. Die in Horchheim wohlbekannte Lahnsteiner Industriellenfamilie Schmidt besaß und bewohnte zu der Zeit den sogenannten Rosenbaumsehen Besitz, der über die heutige Collgasse zum Rhein hin zugänglich war und sich um den Komplex der "Villa Marcana" gruppiert hatte. Nach dem Tode ihres Gatten im Jahre 1899 wohnte seine Witwe weiter in Horchheim, wo sie im Jahre 1912 im Alter von 85 Jahren starb. Pfarrer Lohmann gedenkt ihrer als Spenderin des Altars in der Pfaffendorfer Kirche. Ob der Altar eine Zweitspende war, oder ob er aus den 6000 Mark finanziert wurde, die das Ehepaar 1898 zum Kirchenbau gespendet hatte, bleibt offen. Seine Anfertigung aus nassauischem Marmor mochte auch zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts seinen Preis gehabt haben, so daß für eine Zweitspende sehr hoch hätte gegriffen werden müssen.

Ähnlich liegen die Dinge bei den Spenden der Familie Mendelssohn. Ihre Mitglieder hatten unterm 2. Februar 1899 auf eine Anfrage Pfarrer Lohmanns hin 4000 Mark für den Kirchenbaufonds gespendet, wurden in Lohmanns Übersicht aber als Stifter dreier Fenster in der Kirche genannt. Es ist zu vermuten, daß die Gelder beider großzügiger Spender in der Kirchenbausumme von 122.000 Mark enthalten sind, aus der auch die Inneneinrichtung finanziert wurde. Vermutlich wurden die Spendengelder bei der Auftragsvergabe mit Zustimmung der Spender für bestimmte Objekte verwandt, deren Preis dem Spendenvolumen entsprach. Diese Praxis läßt sich an einem anderen Beispiel zeigen. Über zahlreiche kleine Spenden, die seit 1898 zugeflossen sind, hat Pfarrer Lohmann in einem Oktavheftchen zur "Abrechnung über die mir zur Verfügung gestellten Gelder zu Kirchbauzwecken" minutiös Buch geführt. Er hat es am 1. Januar 1899 angelegt und bis zum Jahre 1902 darin Einnahmen in Höhe von 3.472,91 Mark verbucht, ohne für die Gelder je eine Objektbindung zu nennen. Anders verhält er sich bei einem Eintrag aus dem Jahre 1902, als der Kirchenbau seinem Abschluß entgegenging. Er notiert hier einen Einnahmeposten von 460 Mark von Frau Berger für Kronleuchter. Dieser Gabe gedenkt er in seiner Festschrift, in der er die Witwe Berger, ebenfalls einer in Horchheim wohnenden Industriellenfamilie angehörig, als Spenderin der silbernen Abendmahlsgeräte sowie des schmiedeeisernen Kronleuchters nennt. In der Regel sind die Spenden wohl über Geldzuflüsse gelaufen.

Die silbernen Abendmahlsgeräte, für die ein Geldäquivalent nirgends ermittelt werden konnte, weisen aber daraufhin, daß einzelne Gegenstände auch unmittelbar als Sachspende geschenkt worden sind. Sie sprechen eine Spezialität der Pfaffendorfer Gemeinde an, die berühmten 40 Einzelkelche. Sie sind am Gründonnerstag, dem 28. März 1907, erstmals zum Einsatz gekommen, nachdem die Gemeinde dazu angehört, die größere Gemeindevertretung es beschlossen und das Konsistorium sie genehmigt hatte. Es ist denkbar, daß zur Finanzierung dieses Vorhabens - die größere Gemeindevertretung wurde in der Regel bemüht, wenn es um Geld ging - auch die verwitwete Frau Berger kurz vor ihrem Tode noch um einen Beitrag gebeten worden ist. Sie ist noch im Jahre 1907 gestorben und hat in die gemeindliche Kirchensteuerumlage der Jahre 1907 und 1908 eine Lücke von ca. 20 Prozent gerissen, von der sich der Gemeindehaushalt nur langsam erholte. Da Pfarrer Lohmann keine Differenzierung der Abendmahlsgeräte vornimmt, könnte er Frau Berger auch als Stifterin, zumindest als Mitbeteiligte an den 40 Einzelkelchen erwähnt haben.

Als letzte unter den namhaften Spendern für seine Kirche nennt Pfarrer Lohmann die Kaiserin Auguste Viktoria, die der Gemeinde zur Kirchweih die kostbare, silberbeschlagene Altarbibel geschenkt, sie eigenhändig signiert und mit einer Widmung versehen hat. Sie wird auch heute nur zu besonderen Anlässen und mit Respekt gezeigt. Ein schriftlicher Hinweis darauf, daß Auguste Viktoria auch die Spenderin der 40 silbernen Einzelkelche gewesen sei, die seit 1907 gebraucht worden sind, ist weder in den zugänglich gehaltenen Akten noch in den gedruckten Berichten zu finden.

Quelle: 1899 -1999. Festschrift der Evangelischen Kirchengemeinde Koblenz-Pfaffendorf aus Anlass des 100. Jahrestages ihrer Gründung zum 1. Oktober 1899